Interview mit der Fortepianistin und Cembalistin Linda Nicholson zu ihrer Einspielung von Klavierwerken Carl Loewes (1796-1869)


Bild Linda NicholsonFrau Nicholson, Sie haben dieses Jahr eine erste CD mit der Klaviermusik von Carl Loewe aufgenommen - Musik, die man kaum kennt und die bislang einesteils noch gar nicht, anderenteils nur auf modernen Instrumenten aufgenommen wurde. Was dürfen die Hörer auf dieser CD erwarten?
Eine große Überraschung! Das ist Musik, die kaum bekannt und, wie ich glaube, sehr originell ist. Da finden sich Akkorde und Harmonien, die schon nach Wagner klingen, und doch auch noch frühere Züge. Es ist wirklich der Beginn einer neuen Ära: Der Übergang zwischen Klassik und Romantik. Und Loewe ist ein sehr früher romantischer Komponist, nicht nur hinsichtlich seiner Musik, sondern auch hinsichtlich der Ideen, die hinter der Musik stehen. In all seiner Klaviermusik kann man hören, dass Geschichten dahinterstehen. Einige der Stücke haben besondere Titel, wie die Zigeunersonate, in der jeder der fünf Sätze eine eigene Überschrift trägt, er schrieb aber auch eine Alpenphantasie und ein Stück mit dem Titel Mazeppa - das auf Byrons Mazeppa basiert - und zwar ungefähr 15 Jahre, bevor Liszt diesen Titel wählte. Ein Stück übrigens, das Loewe als Sinfonische Dichtung bezeichnet: Das ist glaube ich das erste Mal, dass dieser Begriff überhaupt benutzt wird; und ich wüsste auch nicht, dass irgendjemand sonst ihn für Klaviermusik verwendet hätte.
Ja, Loewe war ein großer Literaturliebhaber und hatte die Idee, Literatur, bildende Kunst und Musik zu verbinden, was eine Art neues romantisches Ideal war: Die Künste zu vereinen. Aber selbst in den Klaviersonaten ohne Titel ist die Musik sehr illustrativ, sehr in Farben gedacht, anstatt im klassischen Sinne verarbeitet. Manches klingt tatsächlich schon impressionistisch! So hat man hier auch eine Menge special effects, die speziell auf die Fortepiani dieser Zeit zugeschnitten sind. Beispielsweise hat die Alpenphantasie lange, lange Pedal-Anweisungen mit offenen Quinten, so dass man so einen Hintergrundeffekt bekommt, der vor allem Farbe erzeugt. Und vielleicht ist das nur so eine spezielle Vorstellung von mir, aber ich erkenne darin jedenfalls so etwas wie die Bilder von Caspar David Friedrich: Hohe Berge im Nebel, kleine Gestalten, die vor der majestätischen Landschaft noch zwergenhafter erscheinen... Das ist alles sehr stark ein Teil dieser Zeit, denke ich.

Wie sind Sie auf diese Musik gestoßen und was fanden - und finden - Sie so reizvoll daran?
Ich muss zugeben, dass es am Anfang eigentlich der reine Zufall war: Ich spielte vor ziemlich langer Zeit ein Konzert in Halle - es könnte Loewes 200. Geburtstag gewesen sein, als 1996, aber ich bin nicht mehr ganz sicher - und man hatte mir dafür damals einige Stücke von ihm aus der dortigen Bibliothek geschickt. Ich spielte also zwei davon, die Sinfonische Dichtung Mazeppa und die E-Dur-Sonate, und fand sie beide wunderschön. Aber wie das so ist: Anschließend kamen neue Programme, andere Konzerte, und irgendwie vergaß ich die Loewe-Stücke erstmal wieder. Vor einigen Jahren räumte ich dann wiedermal einen meiner unglaublich chaotischen Stapel von Noten auf, stieß wieder auf die Kopien dieser Stücke und erinnerte mich: Das war doch eigentlich ziemlich gut! Daraufhin habe ich mich gefragt, ob irgendwas davon eigentlich schon aufgenommen sei, und fand heraus, dass das bei vielen der Werke noch nicht der Fall war. Als ich die Sachen dann wieder spielte, hatte ich gleich wieder diesen Eindruck, dass sie etwas ganz Besonderes hätten - was vielleicht auch mit dieser bestimmten Epoche zu tun hat: Da ist eine Schlichtheit, die einen ganz direkt anspricht. Etwas, das einen sehr berührt.
Das hat vielleicht auch mit Loewes Werdegang zu tun. Ein Aspekt, der dabei interessant ist, ist etwa, dass er bei Daniel Gottlob Türk Unterricht hatte, der die berühmte Klavierschule schrieb und Musikdirektor in Halle war - aber Loewe bekam von ihm keine Klavierstunden, sondern nur Gesangs- und Dirigierunterricht! Als Pianist war er also wirklich Autodidakt, was etwas eigenartig erscheint, wenn man weiß, wie bekannt Türk eben als Pianist war, und auch als engagierter Klavierlehrer. Ein anderer Aspekt ist, dass Loewe ausdrücklich das verachtete, was er als leere Virtuosität bezeichnete und unter anderem bei Chopin fand. Er legte immer viel Wert auf den Ausdruck in der Musik, und verschiedene Klangfarben, anstatt eben dieser leeren Virtuosität. Einiges von seinem Werk ist also wirklich schwer zu spielen - definitiv nicht für Amateure geschrieben - und es gibt auch einige Sätze, wie das Scherzo und Trio in der großen E-Dur-Sonate, die sehr viele virtuose Läufe haben und vielleicht auch von der kompositorischen Qualität her nicht ganz dem Rest seines Werkes entsprechen; aber welches Stück auch immer: Alles ist formal sehr gut gemacht und sehr gut strukturiert.

Was war für Sie der Aspekt an dieser Musik, der Ihnen bei der Einspielung am meisten Schwierigkeiten gemacht hat?
Eigentlich gab es gar keine ernsthaften Schwierigkeiten, weil ich die Musik einfach immens reizvoll fand.

Bei allen Stücken auf Ihrer CD handelt es sich nun um die erste Einspielung auf einem historischen Instrument, bei einigen sogar um die erste Einspielung überhaupt. Können Sie sich erklären, warum diese doch schon beim ersten Hören sehr reizvolle Klaviermusik Loewes so gänzlich unbekannt ist - ganz im Gegensatz ja zu seinen Liedern und Balladen?
Nein, nicht wirklich. Ich meine, seine Balladen gehören nun auch nicht zum meistgespielten Repertoire überhaupt, aber ich verstehe überhaupt nicht, warum die Klaviermusik so gänzlich in Vergessenheit geriet. Er war seinerzeit ja durchaus ein bekannter Mann, reiste durch ganz Europa, gab Konzerte in Wien und selbst in London, und insofern ist das ein bisschen ein Rätsel. Natürlich schrieb er nicht unglaublich viel für Klavier - so etwa 20 Stücke insgesamt -, aber darunter doch einige sehr interessante. Und die Zigeunersonate und die Alpenphantasie wurden, sofern ich das herausfinden konnte, tatsächlich noch nie eingespielt und nur sehr selten aufgeführt, und gerade die Zigeunersonate halte ich für ein unglaublich packendes und gutes Stück! Es mag sein, dass seine Musik so ein bisschen zwischen allen Stühle landet, denn sie ist einerseits nicht so hochvirtuos geschrieben, dass sich die Pianisten, die wirkliche Show-Virtuosenprogramme spielen möchten, darum streiten würden, aber auf der anderen Seite passt sie vielleicht auch nicht richtig gut in ein solides Programm mit rein klassischem Repertoire - Beethoven-Sonaten oder so -, weil sie dafür wieder zu virtuos ist. Aber das ist nur eine Vermutung. Die für mich naheliegendste Erklärung ist, dass moderne Pianisten mit diesen Sachen einfach nicht zurechtkommen, weil Loewe beispielsweise oft ganz spezifische Pedalanweisungen gibt, die auf einem modernen Flügel einfach nicht realisierbar sind, weil er zu resonant ist. Und vielleicht ist dies das Problem, weil die Klaviere sich eben weiterentwickelt haben, und man diese Musik auf einem modernen eben einfach nicht mehr angemessen spielen kann. Wenn man es dagegen auf einem Instrument aus dem 19. Jahrhundert spielt, dann funktioniert das plötzlich: Die Musik spricht!

Was für ein Instrument haben Sie genau verwendet?
Ich habe einen Flügel von Collard & Collard gespielt, ein englisches Instrument, das zwischen 1849 und 1850 gebaut wurde. Das ist also ein bisschen später, als die frühesten Werke, die ich gespielt habe, aber die Zigeunersonate beispielsweise entstand 1847, das passt also genau. Und Loewe selbst scheint die verschiedensten Instrumente gespielt zu haben: In Wien spielte er einen Streicher-Flügel, in London dürfte er englische Klaviere gehabt haben. Der Flügel, den ich benutzt habe, funktioniert für seine Musik sehr gut, er klingt nicht zu hart, aber hat einen guten Diskant und ist sehr atmosphärisch, vielfarbig - und das war mir wichtig. Man kann darauf gut mit Farben malen, und ich denke, das entspricht Loewes Musik sehr genau.


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