Hören für Hörer
Ein Erste-Hilfe-Kurs für wissensdurstige Konzertbesucher von und mit Andrea Braun
Warum?
Während der über 30 Jahre, die ich inzwischen in meiner Funktion als Rezensentin Konzerte besuche, geschah es unzählige Male, dass sich in einer Pause zwischen zwei Stücken mein Sitznachbar im Konzertsaal neugierig erkundigte, ob ich wohl »von der Presse« sei — und auf mein bejahendes Nicken hin höchst interessiert fragte: »Was notieren Sie denn da die ganze Zeit? Finden Sie das Konzert gut? Warum? Haben die schon was falsch gespielt?«. Und: »Gibt es überhaupt objektive Kriterien, um Musik zu beurteilen?«
So wurde mir immer wieder bewusst, wie unsicher viele Musikfreunde einerseits hinsichtlich der Beurteilung musikalischer Qualität sind, wie motiviert und interessiert aber auch andererseits, etwas mehr darüber zu lernen; was heute — in einer Zeit, in der die Zahl der Schul- und Kirchenchöre in vielen Ländern stetig zurückgeht und selbst so mancher Abiturient nicht mehr Noten lesen gelernt, geschweige denn jemals ein Konzert besucht hat — schwierig ist. Wer hat schon die Zeit oder den Mut, sich mit Fachliteratur auseinanderzusetzen?
Ich bin aber auch als Konzertagentin tätig. Und im Gespräch mit den von mir betreuten Musikern (und den vielen hundert anderen, die ich als Journalistin über drei Jahrzehnte hinweg interviewt habe) wird immer wieder ein Problem thematisiert: Die Interpreten fühlen sich oft nicht für das wertgeschätzt, was schwierig ist, was sie aber unglaublich gut ausführen, sondern für etwas, was vielleicht viel einfacher — oder auch weniger gut gelungen - ist, was das Publikum aber eben versteht und goutiert.
»Kann ich wohl ein langsames, leises und ruhiges Stück an‘s Ende meines Programmes setzen, oder klatscht dann keiner?« ist da eine ganz typische Sorge. Und auch keine ganz unberechtigte; denn jeder weiß, dass es für laute, schnelle und hohe Stücke den meisten Applaus gibt. »Dabei ist es doch viel schwerer, einen langsamen Satz wirklich gut zu spielen!«, klagen da meine Musiker — und beugen sich dann oft genug schweren Herzens doch den aufführungspraktischen Realitäten.
Daneben bin ich aber auch noch Tochter, Freundin, Nachbarin von Musikfreunden, die Konzerte besuchen, und nach einem mit höchstem Enthusiasmus ihrerseits rezipierten Konzerterlebnis nicht selten am nächsten Tage mit großem Erstaunen den niederschmetternden Verriss des Kritikers der Lokalzeitung oder eines Radiosenders zur Kenntnis nehmen. Oder umgekehrt: Geisttötend gelangweilt durchleiden sie schwitzend, mit schmerzendem Hinterteil und eherner Beherrschung die vierstündige Aufführung einer frisch ausgegrabenen Barockoper, die für ihr Gefühl aus der 32-maligen Wiederholung ein- und derselben Arie besteht — und die Feuilletonisten rühmen am nächsten Tag nicht nur die außergewöhnliche Expressivität der ungemein abwechslungsreichen Komposition sondern auch die unabgebrochene Spannungskurve der Inszenierung und der musikalischen Umsetzung.
Wie bitte?
Bei diesen Aspekten setzt Hören für Hörer an.
Was?
Im Workshop wird in einem multimedialen Modul zunächst die Frage behandelt, was eigentlich Interpretation ist: Wie ist die Notenlage in der Alten Musik? Woher weiß man, wie die Komponisten sich die Sache vorgestellt hatten, was sind Quellen? Was steht in den Noten und wo fängt Interpretation an? Welche Rolle spielt Improvisation in welcher Epoche?
Es folgt ein Modul, in dem interaktiv Kriterien erarbeitet werden, die man für die Beurteilung einer Aufführung heranziehen kann und geübt wird, wie man diese auf konkrete Musikbeispiele anwendet.
Da geht es erst einmal um technische Fragen, wie Besetzung, Notentreue, Intonation, Zusammenspiel, Klang und ähnliches, dann um musikalische Aspekte, wie Stilsicherheit, Rhetorik, Spannungsbögen, Affekte, Dynamik oder Balance. Und natürlich sollen diese Kriterien von den Hörern gleich praktisch angewandt werden: erst einmal bei Aufnahmen und kurzen Livebeispielen, dann nach Möglichkeit auch bei Konzerten im Festival.
Bei entsprechendem Interesse der Hörer und ausreichend Zeit können in diesem Rahmen auch Stimmsysteme besprochen werden. Denn immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, dass auch gänzlich unerfahrene Konzertbesucher den Unterschied zwischen mitteltöniger und gleichschwebender Stimmung wahrnehmen — sie sind sich dessen nur nicht bewusst. Klärt man sie aber mit entsprechenden Klangbeispielen über diesen feinen Unterschied auf, den sie bislang vielleicht immer eher gespürt als analysiert hatten, so zeitigt man ungeheure Aha-Erlebnisse.
Abschließend soll in diesem Modul in jedem Falle die Frage diskutiert werden, ob es überhaupt richtige und falsche Interpretationen gibt?
Ein drittes Modul befasst sich mit Programm und Programmheft: Wie kann man die Idee, die Zusammenstellung des Programms einordnen, wurden Kompromisse hinsichtlich Besetzung und Interpretation gemacht? Sind es Mainstream-Werke, oder haben die Musiker etwas neu entdeckt, dazu lange geforscht?
Ist der Text zum Programm kompetent, verständlich, spannend geschrieben; wie steht es um die Biografie? Nur langweilige Listen, oder erfährt man wirklich etwas über den/die Musiker?
Eine angesichts heutiger Konzertprogrammation unerlässliche Frage ist dabei auch, wo die Grenze zur populistischen Musik, zur populistischen Interpretation verläuft — Stichwort Affekt versus Effekt. Und was die Nachteile oder Vorteile solcher Programme für Publikum, Veranstalter, Musiker sind.
Zum Schluss bietet der Workshop natürlich noch ein paar Anekdoten aus der Rezensenten-Schatzkiste, die in all diese Bereiche hineinspielen. Und ein paar Geheimtipps: Gibt es gute und schlechte Programme, oder ist das Geschmacksache? Woran merkt man, ob ein Programm gut oder schlecht geprobt ist? Welchen Einfluss haben Konzertraum und äußere Umstände auf eine Aufführung? Und was sagt der Text im Programmheft über einen Musiker, ein Ensemble aus?
Wozu?
Hören für Hörer will keine Amateur-Rezensenten ausbilden. Ziel des Kurses ist nicht, dass die Teilnehmer künftig vor lauter analytischer Konzentration Musik nicht mehr genießen, sich ihr nicht mehr einfach hingeben können.
Hören für Hörer geht vielmehr von der wissenschaftlich reichlich belegten Tatsache aus, dass Menschen generell entspannter und damit offener für Genuss sind, wenn sie sich sicher fühlen. Auf die Konzertsituation übertragen: Wenn sie das Gefühl haben, ein Stück weit zu verstehen, was da auf dem Podium vorgeht, fühlen Hörer sich besser, erfahren Selbstwirksamkeit — und kommen häufiger wieder.
Das ist ein wenig wie eine Photovoltaikanlage, die man sich auf’s Dach setzt: Zuerst investiert man — doch über die Jahre profitiert man.
Wie?
Für Hören für Hörer sollten mindestens 120 Minuten (inklusive einer Pause von 20 Minuten) veranschlagt werden, optimal wäre es jedoch, an zwei aufeinanderfolgenden Vormittagen jeweils ein 90-minütiges Modul anzubieten, so dass das Gelernte zwischendurch in Konzerten ausprobiert und verifiziert, und am nächsten Morgen im Kurs evaluiert werden kann.
Von den Kursteilnehmern werden keinerlei Vorkenntnisse erwartet — abgesehen von einer gesunden Neugierde und der Motivation, ihre Konzerterlebnisse auf eine neue Bewusstseinsebene zu bringen.
An technischem Equipment wird benötigt:
Wer?
Ich, Andrea Braun, begann schon als Schülerin, noch vor Beginn meines Studiums in Würzburg, Eichstätt und Kairo, Instrumentalunterricht zu geben, Chöre zu leiten, und mich als Konzertrezensentin zu verdingen.
Nach drei geisteswissenschaftlichen Studienabschlüssen wandte ich mich jedoch zunächst einer Karriere in der freien Wirtschaft zu, wo ich als Unternehmensberaterin und Geschäftsführerin einer psychologischen Forschungsgesellschaft nicht gerade rasend spannende, aber durchaus nützliche Erfahrungen und Kenntnisse hinsichtlich der Leitung von Unternehmen, Werbung, Motivation, Kundenakquise und Fundraising gewinnen konnte.
Nach einigen Jahren beschloss ich dann, mich ausschließlich den schönen Dingen des Lebens zuzuwenden, machte mich als freie Journalistin und Autorin im Bereich vor allem der Alten Musik selbständig und reiste fürderhin einen guten Teil des Jahres auf wunderbare Festivals, zu spannenden Konzerten und interessanten Kursen in ganz Europa — und erlangte dabei ein recht umfassendes Wissen darum, wie man ein Publikum (und einen Kritiker!) begeistert, was bei den Menschen ankommt. Und was nicht.
Dabei zog ich jedoch auch stets Parallelen zu dem, was ich in der Wirtschaft, in der Psychologie gelernt hatte: Was begeistert Menschen? Wie kann man sie faszinieren, gewinnen, wie bei der Stange halten?
Meine journalistische Arbeit ist in unzähligen Beiträgen, Berichten, Interviews, Sendungen, Features, Kritiken und Artikeln in Zeitungen, Zeitschriften und Hörfunksendungen dokumentiert (u.a. Toccata - Alte Musik Aktuell, Concerto, ensemble, Musik und Kirche, Das Orchester, Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, BR Klassik, WDR, SWR, mdr ...).
Und inzwischen ist daneben mein erster Kriminalroman »Tote Mädchen zum Auftakt« erschienen (zu finden hier bei Amazon); der — wie sollte es anders sein — einen Cembalisten und Dirigenten zum Hauptprotagonisten hat und in der Welt der Alten Musik spielt.
Der Anstoß, eine Agentur für Alte Musik zu gründen, kam irgendwann von diversen Musikern, die sagten: Wir brauchen eine Agentur, die sich mit historischer Aufführungspraxis auskennt und einen Violone von einer Violine unterscheiden kann. So entstand 2009 Sonus - Concert & Consulting, die Agentur für Alte Musik, die sich inzwischen sehr gut auf dem Markt etabliert und gerade unter den renommierten Alte-Musik-Festivals, aber auch anderen interessierten Veranstaltern auf allen fünf Kontinenten einen treuen Kundenstamm aufgebaut hat. Und deren Angebot von Anfang an auch Dienstleistungen, wie populäre und wissenschaftliche Texte, Übersetzungen und Biografien umfasste.
Regelmäßig wurde und werde ich auch als Jury-Mitglied zu internationalen Wettbewerben der Alten Musik eingeladen, oder als Coach für junge Musiker und Ensembles (etwa im Rahmen des Festival Oude Muziek Utrecht). Darüber hinaus halte ich von Zeit zu Zeit Vorträge für Kulturveranstalter, Studenten oder Dozenten rund um die Alte Musik in Theorie und Praxis, moderiere Konzerte oder führe ein Publikum ins Konzertgeschehen ein.